Vereinsarbeit


Kreisgruppe Schwarzwald-Baar-Heuberg
Kurzbericht zum Forum "Mit den Augen des Kindes gesehen / Das Kind im Familiengerichtlichen Verfahren"

Presseartikel hierzu:
- "Trennungen durch die Augen der Kleinen sehen"
- Mit den Augen des Kindes sehen


Näheres hierzu siehe auch meine Mail vom 08.10.2002

Als Zuhörer waren ca. 90 Personen erschienen. Auf dem Podium saßen:
- Ursula Wegener, freie Journalisten des SWR2, Moderationsleitung
- Benjamin Dzialowski, ZDF Kindernachrichten Logo, als Sprecher für Kinder
- Claudia Marquardt, Fachanwältin für Familienrecht
- Dr. Phil Maud Zitelmann, Ausbildnerin im Bereich der Verfahrenspflege, Promotion in Kindeswohl
- Prof. Ludwig Salgo, Rechtswissenschaftler, Ausbilder von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen
- Reg. Dir. Irmtraud Christmann, Ministerium für Kinder und Jugend, Rheinland-Pfalz
- Sabine Heinke, Familienrechtskommission, Feministische Richterin und Ex-Anwältin, Herausgeberin einer Feministischen Rechtszeitschrift
- Herbert Pfunder, Akademie der Polizei in BaWü, Freiburg, Ausbilder der Jugendsachbearbeiter
- Brigitte Lohse-Busch, Psychologin, Sachverständige fürs Familiengericht
- Elvira Keller und Christine Harsch-Schmutzer, Mediatorinnen

Nach der üblichen Einleitungs- und Vorstellungsrunde wurde allen ein erster Fall geschildert. Anschließend diskutierte das Podium darüber und den Gästen wurde auch Gelegenheit gegeben, Meinungen zu äußern und Fragen an das Podium zu stellen. Leider waren die Wortmeldungen so zahlreich (es handelte sich bei den Gästen ja ausschließlich um wirklich Interessierte, denn für die Fachtagung wurde eine Gebühr von 40 Euro erhoben), dass nur wenige zu Wort kamen. Für diese Wenigen hat man sich aber ausreichend Zeit genommen. Leider kam ich nicht zu Wort.

Hier nun der 1. Fall:
Vera K., 10 Jahre alt
Vor zwei Jahren hatten sich die Eltern von Vera getrennt, die Mutter war nach einer schweren Beziehungskrise ausgezogen und hatte sich in einer anderen Stadt eine Wohnung genommen. Vera blieb bei dem Vater. Bis auf wenige Telefonanrufe zum Geburtstag oder zu Weihnachten hatte Vera keinen Kontakt mehr zur Mutter. Vera hatte eine große Wut auf die Mutter, aber litt sehr unter der Trennung. Für den Vater und seine Tochter war dies eine schwere Zeit. Herr K. nahm Beratung beim Jugendamt in Anspruch und informierte sich über Hilfsmöglichkeiten. Für Vera bot eine Therapie die Möglichkeit, die Trennung zu verarbeiten. Die Mutter war sehr damit beschäftigt, das eigene Leben zu ordnen, sie hatte eine Berufsausbildung begonnen. Versuche des Jugendamtes, Umgangskontakte zwischen der Mutter und Vera zu verabreden, scheiterten an der Mutter.

An Veras zehnten Geburtstag teilt die Mutter Vera mit, dass sie einen neuen Partner gefunden habe und Vera nun in den nächsten Ferien auf eine einwöchige Urlaubsreise mitnehmen wolle. Vera reagiert verunsichert. Sie möchte mit dem neuen Mann der Mutter nichts zu tun haben. Die Mutter ist ihr fremd geworden. Der Vater ist erstaunt und wütend über das plötzliche Anliegen der Mutter, einen gemeinsamen Urlaub mit Vera zu verbringen. Er erklärt der Mutter, dass Vera nicht in den Urlaub mitgehen werde.

Die Mutter geht zum Rechtsanwalt. Sie möchte erreichen, dass Vera auf diese Reise mitgehen kann. Der Rechtsanwalt schreibt einen Brief an den Vater, in dem er dem Vater mitteilt, dass Vera ein Recht auf Umgang mit ihrer Mutter habe. Der Vater verabredet daraufhin einen Termin mit dem Jugendamt und bittet gleichzeitig die behandelnde Psychologin, ein Gutachten zu erstellen, in dem deutlich wird, welche Folgen ein Urlaub mit der Mutter haben könnte.

Die Mutter stellt inzwischen einen Antrag beim Familiengericht auf Regelung des Umgangs mit ihrer Tochter Vera.

Bei der anschließenden Diskussion (Aussagen sind sinngemäß und verkürzt wiedergegeben, wie ich sie aufgefaßt habe. Es handelt sich in keinem Fall um wörtliche Rede!):

Prof. Salgo: Dies ist nicht der typische Fall. In der Regel sind es zu 80% die Väter, die die Familien verlassen. (Zustimmung vom Podium und vom Publikum). Anschließend sieht man sie mit leeren Kinderwagen protestierend durchs Brandenburger Tor fahren (argumentiert m.E. im weiteren polarisierend).

Ein Gast aus dem "juritischen Bereich": Kontert direkt gegen Salgo, dass nicht immer die Männer die Bösen sind.

Gast oder aus dem Podium: Männer schämen sich. Bei 70% der 300.000 Umgangsstreitigkeiten wird die gemeinsame elterliche Sorge ausgesprochen. Der Redner spricht sich aber gegen die gemeinsame elterliche Sorge aus.

Marquardt: Spricht über ihre Kanzlei, wie sie handeln würde. Ausschließlich das Kindeswohl im Auge. Will zwischen Eltern vermitteln.

Moderatorin an Marquardt: Sind es nicht gerade die Anwälte, die Öl ins Feuer gießen?

Marquardt: Nein, die überwiegende Anzahl der Anwälte versucht zu vermitteln.

Ein Anwalt aus dem Publikum: Stellt sich vor und teilt mit, dass seine Klienten zu 70% Mütter sind. Widerspricht Marquardt: "Es gibt Anwälte, mit denen kann man nicht reden". Es würde dem Ansehen der Anwaltskammer gut tun, wenn man derartige Anwälte ausschließen würde. Im vorgerichtlichen Bereich investiert der Staat enorme Summen. Plädiert für Zwangsmittel bei Umgangsverweigerung.

Salgo: Spricht sich gegen ein aufgezwungenes Umgangsrecht aus. Pauschalisiert.

Heinke: BRD steht im internationalen Druck bzgl. Durchsetzbarkeit von Beschlüssen. Umgangsrecht ist nicht den Bedürfnissen der Kinder angepaßt. (Ich hab sie so verstanden, dass ein Umgangsrecht auch durchsetzbar sein muß.).

Zitelmann: Aus der Ohnmacht des Staates folgt die Ohnmacht der Kinder.

Dzialowski: Das Kind sollte die lauteste Stimme haben.


Weitere Aussagen des Podiums (nicht chronologisch):
Heinke: Salgo: Lohse-Busch: Mittagspause, anschließend Film von Terres des Somme: "Scheiden tut weh"

Fall 2:
Arno S., 5 Jahre alt
Arno, 5 Jahre alt, lebt bei seinen Eltern in einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt von Rasstatt. Die Familie hat keine Kontakte im Stadtteil. Verwandte gibt es in Rasstatt keine. Arno wird schon früh im Kindergarten durch massive Sprachverzögerungen auffällig. Die Eltern lassen sich nach langem Drängen der Erzieherinnen auf einen Wechsel in den Sprachheilkindergarten ein. Dort erhält Arno eine logopädische Förderung. Arnos Sprache verbessert sich zusehends. Im Sprachheilkindergarten bemerken die Erzieherinnen, dass Arno häufig blaue Flecken hat. Auf Nachfrage bei der Mutter sagt diese, ihr Sohn sei besonders schusselig und stoße überall an.

Beim Schwimmbadbesuch entdecken die Erzieherinnen weiterhin Prellungen und blaue Flecken.

Als Arno beim Mittagsschlaf im Kindergarten einnäßt und er umgezogen werden muss, entdeckt die Erzieherin am Rücken von Arno Striemen. Auf die Frage, was denn da passiert sei, antwortet der Junge spontan. Der Papa habe ihn mit dem Gürtel geschlagen. Die Erzieherin tröstet Arno und sagt ihm, dass der Papa das nicht darf.

In der Team-Sitzung der Erzieherinnen wird das gemeinsame Vorgehen besprochen. Die Leiterin des Kindergartens versucht vorsichtig, ein Gespräch mit der Mutter zu führen und spricht die häufigen Verletzungen des Kindes noch einmal an. Die Mutter wehrt sofort ab und sagt, Arno sei eben extrem ungeschickt. Eine besondere Förderung für Arno sei aber auf keinen Fall notwendig. Daraufhin nimmt die Kindergartenleiterin Kontakt mit dem Jugendamt auf! Inzwischen überschlagen sich die Ereignisse. Am Wochenende wird die Polizei von Nachbarn zu der Familie gerufen. Der Vater von Arno hat in alkoholisiertem Zustand die Mutter geschlagen. Sie hat Prellungen am Körper und ein blaues Auge. In Anwesenheit der Polizei beschuldigt die Mutter den Vater der Kindesmisshandlung an Arno. Arno befindet sich ebenfalls in der Wohnung. Dem ersten Augenschein nach ist das Kind unverletzt. Der Vater erhält einen Platzverweis und muss die Wohnung verlassen. Er kommt bei seinen Eltern unter.
Die Mutter von Arno nimmt die Beratung des Vereins Frauen helfen Frauen wahr. Sie ist sehr wütend und möchte sich von ihrem Mann trennen. Sie bleibt vorerst in der Familienwohnung.
Der Vater von Arno wohnt jetzt bei seinen Eltern. Er möchte Arno regelmäßig sehen. Arnos Mutter lehnt dies ab, mit dem Hinweis auf die Gewalttätigkeit des Vaters.
Arnos Vater geht daraufhin zum Rechtsanwalt. Er möchte das Umgangsrecht mit dem Sohn durchsetzen. Die Sozialpädagogin des Jugendamtes hatte sich inzwischen schon mit den Erzieherinnen des Kindergartens über den Verdacht der Kindesmisshandlung unterhalten und Arno im Kindergarten kennen gelernt. In dem ersten Gespräch erzählt Arno nichts von Misshandlungen des Vaters. Er sei jetzt froh, dass der "blöde Papa" weg ist. Ein Bericht der Polizei lag dem Jugendamt ebenfalls vor. Die Sozialpädagogin vom Jugendamt hat ein Gespräch jeweils mit Vater und Mutter getrennt anberaumt.
Der Rechtsanwalt beantragt im Auftrag von Herrn S. (Vater von Arno) die Regelung des Umgangs mit seinem Sohn Arno durch das Familiengericht.

Pfunder: Gewalt geht überwiegend von Männern aus. (Argumentiert pauschalisierend)

Salgo: Bringt Beispiel aus Berlin, bei dem die Polizei im Falle einer Kindesmisshandlung einschritt, während das zuständige Jugendamt von einem Einschreiten seinerseits abgesehen hatte. Oftmals sei die Polizei eben besser als die Jugendämter.

Heinke: Will Mutter zur Sammlung von Fakten verhören. Will Erzieherinnen anhören. Vermeidet möglichst die Verhörung des Kindes. (Die Diskussion wechselt vom Kindesmißbrauch zum sexuellen Kindesmißbrauch). Hätte für sich entschieden, dass sie dem Mißbrauch ohnehin glaubt. Würde zum Wohle des Kindes in Kauf nehmen, dass ihr Urteil beim OLG beanstandet wird. Zumindest während der langen Laufzeit des Verfahrens hätte das Kind dann Ruhe vor dem Vater. Erwähnt die 19 Realkennzeichen zur Erkennung von sexuellem Mißbrauch von Undeutsch und Steller.

Salgo: Beklagt, dass Richter die Kinder bei sexuellem Mißbrauch nicht anhören. Beklagt weiter, dass bei diesen Verfahren nur selten Verfahrenspfleger anwesend sind, obwohl die Gerichte zur Bestellung eines Verfahrenspflegers verpflichtet sind. Gegen Heinke gerichtet: das Jugendamt tritt nicht an den Richter heran, weil es bei diesem Richter ohnehin kein Urteil zum Wohle des Kindes gibt. Es liegt bei der Richterausbildung einiges im Argen. Richter haben keine Ahnung über sexuellen Mißbrauch. Verfahrenspfleger und Fachanwälte sind verpflichtet, sich mindestens 10 Stunden pro Jahr fachspezifisch fortbilden zu lassen. Richter brauchen dies nicht.

Heinke: Jugendämter machen sehr genaue Dokumentationen. Spricht internationale Entführungsfälle an. Beklagt, dass neuerdings ein Richter pro Gerichtsbezirk für internationale Entführungsfälle herangezogen werden muss. Stellt fest, dass Richter oft nicht zur Supervision fähig sind. Klagt Justizverwaltungen an. Auf diesen Fall bezogen, würde sie dem Vater kein Umgangsrecht zugestehen; allenfalls begleitenden Umgang. Würde den Vater ggf. zu einer Behandlung verpflichten.

Salgo: Es wäre schön, wenn Jugendamtsmitarbeiter auch fähig wären, sexuellen Mißbrauch zu erkennen.

Christmann: Weiß über die unbefriedigende Ausbildung von Richtern und Sozialarbeitern.

Salgo: Spricht sich in diesem Fall gegen einen Umgang - auch gegen einen begleiteten - aus.

Heinke: Beklagt, dass es keine Zwangsmöglichkeiten gibt (ich weiß aber nicht mehr, ob sich dies auf den Umgang oder die Fürsorgepflicht der Jugendämter bezieht). Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird gehandelt.


Meine Eindrücke:
Salgo läßt kaum ein gutes Haar an Jugendämtern und Gerichten. Zeigt sich gelegentlich väterfeindlicher als die Feministin Heinke. Argumentiert oft pauschalisierend und polarisierend. Heinke gibt ihre feministischen Tätigkeiten offen zu. Verhält sich aber zumindest hier als Familienrichterin überwiegend neutral. Anwesende Jugendamtsmitarbeiter sind empört über die pauschalen Verurteilungen Salgos bzgl. ihrer Tätigkeiten.

Jürgen Griese

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