Presseschau
Auf dieser Seite finden Sie "vereinsfremde" Presseartikel.
Artikel rund um unseren Verein finden Sie hier.


Badische Zeitung
Montag, 24. Dezember 2001

"Wir waren doch einmal eine Familie"

Großeltern gehen auf die Barrikaden: Sie wollen sich die Beziehung zu ihren Enkeln nicht durch die Scheidung der Eltern zerstören lassen
Von Anita Rüffer

Womit bloß könnte sie Christian zu Weihnachten eine Freude machen? Welche Interessen und Hobbys hat er wohl inzwischen? Maria Kinsler kann ihren Enkel nicht fragen. Nicht mal anrufen, geschweige denn besuchen darf sie ihn, seit ihre Schwiegertochter vor drei Jahren von einem Tag auf den anderen mit dem damals Achtjährigen nach Bayern zog. "Sie hat sich nicht einmal verabschiedet."

Fünf Jahre hatten sie zusammen in ihrer Wohnung in Bad Krozingen gelebt. Danach war der Sohn mit Frau und Kind in ein eigenes Zuhause, direkt gegenüber, gezogen. Kaum ein Tag, an dem Christian nicht bei Oma war. "Wir waren eine Familie."

Christian in Großmutters Fechtanzug, Christian als Clown verkleidet, Christian als Säugling auf Großmutters Armen - die Bilder an den Wänden und in den Fotoalben erzählen die Geschichte einer großen Liebe: "Oma, ich hab dich so weit lieb bis zur Sonne und zum Mond", sagte er einmal. Ein Sofa voller Kuscheltiere in "seinem" Zimmer, Tierbilder an den Wänden, in der Küche sein weißes Kaninchen, das Maria Kinsler jetzt liebevoll versorgt: "Es könnte doch sein, dass er eines Tages wiederkommt." Aber ihre Briefe mit den Nachrichten vom Hasen erhält sie ungeöffnet zurük. Hunderte von Kilometern legt die Großmutter regelmäßig zurück, nur um ihren Enkel wenigstens einmal von weitem zu sehen, wenn er aus der Schule kommt.

Maria Kinsler ist kein Einzelfall. Nahezu täglich rufen bei Rita Boegershausen in Essen verzweifelte Großeltern an, denen der Umgang mit ihren Enkelkindern verwehrt wird. "Manchmal höre ich sie nur weinen." Nachdem die Ehe ihres Sohnes in die Brüche gegangen war, durften auch die Boegershausens ihre Enkel nicht mehr sehen. "Da werden die Kinder wie Geiseln vom anderen Elternteil missbraucht. Und der Staat schaut zu." Die Großeltern wollen sich das nicht mehr gefallen lassen. Rita Boegershausen hat schon in der ganzen Republik Mitstreiterinnen gefunden für ihre "Initiative der Großeltern von Trennung und Scheidung betroffener Kinder".

Auch Maria Kinsler hat eine "Selbsthilfegruppe für Großeltern" gegründet, die Zulauf aus ganz Südbaden findet. Mit offenen Briefen und einer Eingabe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages verschaffen die "verwaisten" Omas und Opas sich Gehör in der Öffentlichkeit.

Immerhin gesteht das seit 1998 geltende neue Kindschaftsrecht den Großeltern ein eigenes Besuchsrecht zu, was allerdings gerichtlich schwer durchsetzbar ist. In den meisten Fällen verweigern Mütter ihren Kindern das Recht auf die Eltern des Vaters. Aber auch Väter verweigern nach einer strittigen Scheidung gelegentlich der gesamten "gegnerischen Sippe" den Umgang mit den Kindern. Manchmal sind es sogar die eigenen Töchter mit einem neuen Lebensgefährten, die einen Keil zwischen die Großeltern-Enkel-Beziehung treiben.

"Generationenübergreifende Familienbeziehungen sind so bedeutsam, wie sie es schon immer waren", sagt der Kasseler Familienforscher Harald A. Euler. Gerade wenn für die Kinder wegen der Trennung der Eltern die vertraute Welt zusammenbricht. Diese "verlässliche Basis", ist für den Psychologieprofessor grundlegend für die emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern.

Dass sie ihren Enkeln gut tun, müssen Großeltern vor Gericht aber erst mal beweisen. Maria Kinsler hatte vor dem Oberlandesgericht München unzählige Bescheinigungen vorgelegt - vom Jugendamt, von Ärzten und Erzieherinnen -, die die enge und liebevolle Bindung zwischen ihr und Christian bestätigten. Wie oft hatte sie ihn zum Kindergarten gebracht, zur Krankengymnastik begleitet, an seinem Bett gesessen bei allen Kinderkrankheiten! Genützt haben die Bescheinigungen nichts. Denn Christian selbst sagt inzwischen ohne ersichtlichen Grund: "Die Oma ist böse." Er wolle keinen Kontakt mehr zu ihr.

Für den Münchner Rechtsanwalt Peter Koeppel ein "typisches Zeichen" für das "parental alienation syndrom" (PAS): Das Kind wird von dem Elternteil, mit dem es zusammenlebt, so programmiert, dass es den anderen Elternteil (und dessen Eltern) ablehnt. Dass auch manche Großeltern Manipulationsversuchen nicht widerstehen können, ist andererseits für den langjährigen Vorsitzenden des deutschen Familiengerichtstags, Professor Siegried Willutzki ebenfalls unbestreitbar. "Vor allem, wenn Großeltern die Besuche der Enkelkinder nutzen, um Stimmung zu machen gegen den betreuenden Elternteil." Maria Kinsler erliegt dieser Versuchung nicht. In die Konflikte des mittlerweile geschiedenen Elternpaares will sie sich nicht einmischen. Sie kämpft um ihr eigenes Umgangsrecht mit ihrem Enkel.

Aber "die Kinder sitzen in der Mangel", beschreibt Professor Willutzki die Schwierigkeiten der Familienrichter, wirklich zum Wohl des Kindes zu entscheiden. Was das ist, ist nämlich gar nicht so klar. "Wenn ich zu Papa gehe", gestand eine Zwölfjährige, "kann Mama das nicht verkraften. Also gehe ich nicht hin." Mit Hilfe von geschulten Verfahrenspflegern oder Mitarbeitern aus dem Jugendamt versuchen die Familienrichter laut Willutzki herauszufinden, was das Kind selbst wirklich will.

Und wenn es bei seiner Blockade bleibt? "Gegen den Willen des Kindes können die Gerichte keinen Umgang anordnen." Auch wenn er aus Erwachsenensicht im Sinne des Kindeswohls eigentlich förderlich wäre. Aber die Gerichte, so Willutzki, scheuen davor zurück, das Kind einer Zerreißprobe auszusetzen. Immerhin muss es weiter bei dem blockierenden Elternteil leben. Was der Streit um Besuchs- und Umgangsrechte für ihn bedeutet hat, kann ein Elfjähriger erst nach zwei Jahren psychotherapeutischer Behandlung ausdrücken: "Ich hab nicht mehr gewusst, wer ich eigentlich bin."

Für den Münchner Rechtsanwalt Peter Koeppel stimmt in dem Streit um Umgangsrechte der ganze Ansatz nicht. "Der Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln ist ein Menschenrecht, das nicht mit dem Verweis auf das Kindeswohl ausgehebelt werden kann." Das ergibt sich nach seiner Überzeugung eindeutig aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach jeder Mensch einen "Anspruch auf Achtung des Familienlebens" hat. Und zur Familie gehören demnach selbstverständlich auch die Großeltern. Weil das Kindeswohl damit ein für allemal definiert sei, kann es nach Ansicht von Koeppel "nicht in jedem Einzelfall immer wieder neu verhandelt werden". Es sei denn, der umgangsverweigernde Erwachsene hätte bewiesen, dass es zum Schaden für das Kind ist, wenn es Kontakt zu seinen Großeltern hat.

Damit wäre der schwarze Peter nicht mehr bei den Großeltern, die derzeit noch die Beweispflichtigen sind. Diese "Beweislastumkehr" fordert auch die Großelterninitiative in ihrer Petition an den Bundestag. Und sie will, dass die Gerichte schnell entscheiden. Denn Kleinkinder haben ein kurzes Gedächnis. Wird Großeltern erst nach Jahren ein Umgang zugestanden, haben sich die Enkel tatsächlich längst von ihnen entfremdet.

Dass sie selbst noch von ihrem Engagement profitieren werden, bezweifeln die derzeitigen Akteure. Aber wenigstens nachfolgenden Großelterngenerationen "soll erspart bleiben, was uns widerfahren ist", sagt Rita Boegershausen. Und warnt uneinsichtige Mütter und Väter: "Auch sie werden mal Großeltern. Das vergessen die meisten."

- Selbsthilfegruppe für Großeltern, Bad Krozingen, Telefon: 0174/6510125
- Initiative der Großeltern von Trennung und Scheidung betroffener Kinder, Rita und Jürgen Boegershausen, Telefon und Fax 0201/493320, E-Mail: JueRi.Boegershausen@t-online.de


In unserem Forum können Sie Ihre Meinung zu diesem Artikel äußern.
Verweisen Sie dabei bitte auf http://vaetersorgen.de/FremdePresse/Artikel21.html

Zum Seitenanfang
Hier erreichen Sie den Webmaster