Presseschau
Auf dieser Seite finden Sie "vereinsfremde" Presseartikel.
Artikel rund um unseren Verein finden Sie hier.


Südwestpresse
Mittwoch, 12. Januar 2005

JUSTIZ / Klage über zu stark belastete Richter

Das Recht bleibt auf der Strecke

Gerichtspräsident: Gefahr für Sicherheit

Richter haben so viel Arbeit, dass immer öfter kurzer Prozess gemacht wird. "Das Recht bleibt auf der Strecke", warnt der Präsident des Landgerichts Heilbronn.

HANS GEORG FRANK
HEILBRONN In 34 Berufsjahren hat Gerhard Harriehausen (62) schon viele Schwierigkeiten gemeistert. Jetzt aber schwant dem Präsidenten des Landgerichts Heilbronn Schlimmes. "Das Recht bleibt auf der Strecke", schlug er gestern Alarm. Schuld an dem Missstand sei die Überlastung der Gerichte, die für die Bearbeitung der Fälle nicht genügend Personal hätten. "Es wird so stark auf die Tube gedrückt, dass sich die Parteien nicht mehr ernst genommen fühlen", schilderte Harriehausen die Situation der Zivilkammern. Viele Anwälte sprächen schon von Überraschungsurteilen.

"Das Ding wird übers Knie gebrochen, manche Beweisaufnahme wird nicht mehr veranlasst", bedauert der Chef eines der größten Gerichtsbezirke des Landes mit 850 000 Einwohnern. "Wir sind an der Kante, wo man das gerade noch guten Gewissens machen kann." Eine weitere Verschlechterung der Lage könne nicht verkraftet werden.

Die Folgen seien gravierend: "Die Zahl der Bürger, die noch an das Recht in diesem Staat glauben, wird sinken." Harriehausen sieht gar eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit". Bei der Justiz, auf die lediglich vier Prozent des Landeshaushalts entfielen, dürfe nicht noch mehr gespart werden: "Das macht eine wichtige Institution in unserem Staat kaputt." Eine verlässliche Rechtsprechung sei jedoch wichtiger Bestandteil der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Die kaum mehr tragbaren Bedingungen seien keineswegs auf den Bereich des Landgerichts Heilbronn beschränkt. Vielmehr handele es sich dabei um eine landesweite Entwicklung: "Es geht nicht nur uns dreckig." Die Personaldecke ist in Heilbronn so dünn, dass sich das Landgericht bereits zwei Ermahnungen des Oberlandesgerichts Stuttgart eingehandelt hat, weil Haftsachen nicht in der gebotenen Zeit behandelt worden sind. "Wir haben nicht mehr viel Luft", erklärte Harriehausen.

Grenze der Kapazität

Manch aufwendiges Verfahren wird auf die lange Bank geschoben. So wurde ein Spediteur wegen Betrugs in 7792 Fällen bereits im August 2000 angeklagt, doch erst am 21. Juni soll der Prozess eröffnet werden. Verteidigung und Ankläger haben sich zwar auf zwölf Termine verständigt, doch allein die Verlesung der 236-seitigen Anklageschrift dauert nach Harriehausens Schätzung 20 Sitzungstage. Es ist möglich, dass die Verteidigung mehr als die 85 vom Staatsanwalt benannten Zeugen hören möchte und eine Vielzahl an Beweisanträgen stellt. Damit käme die Kapazität des Landgerichts an ihre Grenze. "Mit Konfliktverteidigung kann man uns umnieten", räumte Harriehausen ein.

Der Jurist hat eine Möglichkeit der Entlastung entdeckt, stellt er doch "den ungeheuren Richtereinsatz bei der Bewältigung gescheiterter Ehen" in Frage. Durch Eheverträge ergäbe sich für die Gerichte ein großes Einsparpotenzial. Bisher jedoch müssten "diese entsetzlichen Streitigkeiten um den Zugewinnausgleich" mit unheimlichem Aufwand betrieben werden.

In unserem Forum können Sie Ihre Meinung zu diesem Artikel äußern.
Verweisen Sie dabei bitte auf http://www.vafk-sbh.de/FremdePresse/Artikel209.html

Zum Seitenanfang