Presseschau
Auf dieser Seite finden Sie "vereinsfremde" Presseartikel.
Artikel rund um unseren Verein finden Sie hier.


Südwestpresse
Montag, 29. September 2003

GESELLSCHAFT / Immer mehr Väter entziehen sich der Unterhaltspflicht

"Zahlen? - Ohne mich"


Plötzlich werden aus gut verdienenden Computerspezialisten mittellose Weinhändler

Ein Riesenärgernis in Zeiten leerer öffentlicher Kassen: Immer mehr Männer bleiben den Unterhalt für ihre Kinder schuldig, weil sie nicht zahlen wollen. Dann muss zunächst einmal der Staat einspringen, der sich später schwer tut, das Geld wieder, einzutreiben.

ANTJE BERG
Jeden Mittwoch nachmittag verschwindet Angelika M. für drei Stunden. Ihren Kindern, neun und elf Jahre alt, sagt sie stets, sie treffe sich mit einer Freundin. In Wirklichkeit aber geht sie in die Praxis ihres Hausarztes, um dort zu putzen. Auf diese Weise bessert die Bankangestellte, die halbtags arbeitet, für sich und die beiden Mädchen die Haushaltskasse auf. Erfahren soll davon keiner. "Als Putze ist man schnell unten durch", sagt sie, "obwohl ich nichts dabei finde."

Der Hausarzt ist verschwiegen, zumal er die Situation der 38-Jährigen kennt: Seit der Scheidung vor drei Jahren hat sie von ihrem Mann kaum einen Euro Unterhalt gesehen. Putzen geht sie, weil ihr die Bank keinen Vollzeitjob anbieten kann und sie den Kindern nicht dauernd Wünsche abschlagen will. Sie ist dankbar dafür, dass sie außerdem so genannten Unterhaltsvorschuss vom Staat bekommt. Darauf haben alle Kinder unter zwölf Jahren Anspruch, die bei einem allein erziehenden Elternteil leben und keinen oder kaum Unterhalt vom anderen Elternteil bekommen. Höchstens sechs Jahre gibt es je nach Alter des Kindes 122 oder 164 Euro im Monat, danach Sozialhilfe - letzteres jedoch nur bei Bedarf.

Ein Riesenärgernis

Weder Putzen noch Unterhaltsvorschuss wären nötig, wenn der Vater seinen finanziellen Pflichten nachkäme: Doch der hat nach der Scheidung seinen Job gekündigt und erhält nun 730 Euro Arbeitslosenhilfe - gerade so viel, dass er nicht für die Kinder zahlen muss. "Die Mutter bekommt die Kinder, und der Vater wird geschröpft - ohne mich", hat er seine Ex-Frau wissen lassen.

Ein Riesenärgernis nicht nur für Angelika M. Immer mehr Männer bleiben den Unterhalt für ihre Kinder schuldig. Die einen zahlen nicht, weil sie nicht können. Die anderen, weil sie nicht wollen. Den Steuerzahler kostete das im vergangenen Jahr 680 Millionen Euro. Betroffen sind davon laut Bundesfamilienministerium knapp 500 000 Kinder - so viel wie nie zuvor.

Von dem, was der Staat als Unterhalt vorschießt, sieht er meist nicht viel wieder: In Stuttgart gelang es 2002, knapp 16 Prozent des Geldes wieder einzutreiben. Von 4,1 Millionen Euro Vorschuss konnten rund 650 000 zurückgeholt werden.

Bei etwas mehr als der Hälfte der knapp 1900 Fälle lohne es nicht aktiv zu werden, sagt Daniela Hörner, Mitarbeiterin des Jugendamtes, weil hier tatsächlich nichts zu holen sei. Nicht wenige der übrigen Väter freilich bedienen sich fauler Tricks: Firmen werden auf die neue Partnerin oder andere Familienangehörige überschrieben und Bilanzen gefälscht. Nach der Trennung werden aus Kfz-Mechanikern, Bankangestellten und Computerspezialisten plötzlich Weinhändler, Versicherungsvertreter und andere Handelsreisende. Selbstständige, die behaupten: "Ich lebe von der Bank". Andere tauchen unter, verlassen die Stadt und ziehen zur Freundin, von der keiner weiß, wo sie wohnt.

Wenn sich Väter über Jahre hinweg derart verweigern, ziehen viele Frauen wie Angelika M. irgendwann einen Schlussstrich, um endlich zur zu Ruhe zu kommen - "zumal es für die Kinder sehr demütigend ist, wenn sie merken, dass sie ihrem Vater keinen Cent wert sind."

Andere kämpfen wie Stefanie P weiter um ihr Recht. Sie zeigte ihren Mann, als sie keinen Unterhaltsvorschuss mehr bekam, wegen Verletzung der Unterhaltspflicht an. Ein Straftatbestand, der mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Der Mann zahlte höchst unregelmäßig für seine Tochter - "je nach Lust und Laune", sagt die Mutter. "Ich wusste, er konnte zahlen. Er wollte nur nicht, weil er tief gekränkt war, dass ich ihn verlassen hatte."

Angeblich arbeitslos

Zwar verzichtete Stefanie P. darauf, Unterhalt für sich selbst zu fordern. "Bei unserem Kind aber wollte ich ihn nicht so billig davonkommen lassen." Ihr war zugetragen worden, dass der angeblich arbeitslose Mann schwarz arbeite. Doch aussagen wollte das vor Gericht niemand.

So fand der Zahlungsunwillige einen milden Richter. Der habe nicht gefragt, warum ein seit längerem Arbeitsloser topmodisch und in feinsten Zwirn gekleidet sei, sagt seine Ex-Frau. Stattdessen habe er vorsichtig wissen wollen: "Was möchten Sie denn zahlen?" 50 Euro, lautete die Antwort des Vaters, die der Richter akzeptierte. Ein Bruchteil von dem, was zu diesem Zeitpunkt als Mindestunterhalt galt.

Fassungslos sei sie gewesen, sagt Stefanie P., dass ein Richter so gutgläubig und gleichgültig sein könne. Auch der Ex-Gatte habe daraus seine Schlüsse gezogen und es mit den Überweisungen weiterhin nicht sehr genau genommen.

Manchmal allerdings wird Hartnäckigkeit auch belohnt: Ein Anwalt erzählt von einem Fall, in dem die ganze Verwandtschaft mobilisiert wurde, um den zahlungsunwilligen Vater rund um die Uhr zu beobachten. Der behauptete, als Selbstständiger nur noch schlechte Geschäfte zu machen. Als er freilich mit den gesammelten Protokollen seiner Ex-Frau, der Schwiegereltern, Schwager und Schwägerinnen konfrontiert wurde, die seinen aufwendigen Lebensstil mit Fotos dokumentiert hatten, gab er klein bei - und zahlte.

In unserem Forum können Sie Ihre Meinung zu diesem Artikel äußern.
Verweisen Sie dabei bitte auf http://www.vafk-sbh.de/FremdePresse/Artikel156.html

Zum Seitenanfang