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Badische Zeitung
Montag, 24. Dezember 2003

"Das Kind braucht beide Elternteile"


BZ- INTERVIEW mit der Familientherapeutin Ursula Kodjoe über den Streit ums Umgangsrecht

Wo Mutter und Vater sich streiten, bleiben Kindesinteressen oftmals auf der Strecke. Die Freiburger Familientherapeutin Ursula Kodjoe vertritt als Verfahrenspflegerin die Belange der Kinder vor Gericht. Die Dozentin im "Verband Anwalt des Kindes" berät überdies im Auftrag des deutschen und französischen Justizministeriums bei internationalen Scheidungskonflikten. Kirsten Wörnle hat sie befragt.

BZ: Mehr als die Hälfte aller Kinder aus geschiedenen Ehen hat nach einem Jahr zu einem Elternteil keinen Kontakt mehr. Vor allem die Väter verschwinden. Warum?

Ursula Kodjoe: Viele Menschen meinen, dass sich Väter einfach nicht mehr kümmern, aber das ist beileibe nicht das ganze Bild. Gerade Hausmänner ertragen nach der Trennung ihren Schmerz und den Schmerz der Kinder bei den seltenen Begegnungen nicht. Andere Väter scheitern am Willen der Mütter und an den Institutionen. Wieder andere werden bei jedem Treffen mit der Familie mit ihren Schuldgefühlen konfrontiert. Es gibt auch viele Mütter, die ihre Kinder aus Rücksicht und Liebe beim Vater lassen. Sie stellen dann fest, dass sie vom Vater ausgegrenzt werden und die Gesellschaft sie als Rabenmütter betrachtet.

BZ: Sind Jugendämter denn Mütterämter?

Ursula Kodjoe: Einige Sozialarbeiter sind überzeugt, dass sie die Interessen der Kinder vertreten, wenn sie die Interessen der Mutter vertreten. Doch Kinder brauchen für eine optimale Entwicklung beide Elternteile. Ich ermuntere Mütter, ihr Recht auf kinderfreie Zeit einzufordern und die Väter in die Pflege und Erziehung einzubeziehen.

BZ: Ist es nicht besser, wenn ein Kind nur einen Elternteil hat und dafür weniger Streit erlebt?

Ursula Kodjoe: Es erscheint manchmal als die weniger schädliche Alternative. Dennoch: Die Suche nach eigener Identität wird erheblich erschwert, wenn ein Elternteil nur als Fantasiegebilde existiert. Das Kind dämonisiert oder idealisiert den abwesenden Vater oder die abwesende Mutter, was zu Beziehungs- und Persönlichkeitsstörungen führt. Wenn der Vater auf allen Ebenen abzulehnen ist, muss das Kind diesen Teil auch in sich ablehnen. Sein Selbstbild ist damit unvollständig. Sämtliche Trennungs- und Scheidungsforschungen belegen, dass das Selbstwertgefühl der Kinder erheblich erniedrigt ist. Nicht zuletzt verliert ein Kind einen ganzen Familienzweig: Großeltern, Tanten, Onkel. Das soziale Netz, auf das es sich berufen kann, wird immer kleiner.

BZ: Und wenn Mutter oder Vater einen neuen Partner hat?

Ursula Kodjoe: Die neue Beziehung ist langfristig stabiler, je "erlaubter" die Beziehung eines Kindes zu seinem leiblichen Elternteil ist. Dann kann das Kind einen unbelasteten Kontakt zu seinem neuen sozialen Elternteil aufnehmen, ohne sich als Verräter zu fühlen.

BZ: Warum scheitern Väter oder Mütter, die ihr Kind sehen wollen, an Institutionen?

Ursula Kodjoe: Eltern brauchen Hilfe, um ihren Paarkonflikt zu lösen, damit beide für das Kind da sein können. Diese Erkenntnis hat sich bei Jugendämtern und vor Gericht noch nicht überall durchgesetzt. Der Wechsel vom Elternrecht zur Elternpflicht und dem Kinderrecht hat sich noch nicht umfassend vollzogen.

BZ: Brauchen wir Elternschulen?

Ursula Kodjoe: Werdende Eltern sollten die Möglichkeit haben, auch etwas über die psychische Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern zu lernen. Viele Männer sind sich noch immer nicht bewusst, wie wichtig der Vater im Leben seines Kindes ist.

Verfahrenspfleger: Für Angehörige psychosozialer und juristischer Berufe startet im März 2002 eine berufsbegleitende einjährige Fortbildung zum Verfahrenspfleger.
Info 0761/400 12 77
E-mail: ukodjoe@aol.com


"Die Suche nach der eigenen Identität wird erschwert, wenn ein Elternteil nur als Phantasiegebilde existiert."
Ursula Kodjoe, Therapeutin


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